Wenn Eltern pflegebedürftig werden ist dies auch für die erwachsenen Kinder eine einschneidende Lebenserfahrung. Häufig reicht die Altersvorsorge der Eltern nicht aus, um beispielsweise bei Pflegebedürftigkeit alle Kosten für den Lebensunterhalt zu decken. Hier sind dann meistens die Kinder in der Pflicht, Unterhalt für ihre Eltern zu leisten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die bedürftigen Eltern nicht zunächst einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen stellen müssen. Bei mehreren Kindern werden Überlegungen notwendig, welches der Nachkömmlinge den Unterhalt leistet oder ob eine Aufteilung der Kosten unter allen Kindern ratsam ist.
Besteht Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung?
Im Fall einer 80-jährigen Witwe, die ihren Lebensbedarf mit eigenen Mitteln nicht mehr bestreiten
konnte und daher einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen im Alter sowie bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff. Sozialgesetzbuch 12 (SGB XII) stellte, wurde dieser abgelehnt. Nach einer Bewilligung
von Hilfe zum Lebensunterhalt, gingen die Unterhaltsansprüche gegen die Kinder an den
Sozialhilfeträger über.
Die Stadt begründete die Ablehnung damit, dass die Kinder der Frau unterhaltspflichtig seien. Ein Sohn erzielte ein Bruttoeinkommen von mehr als 76.000 Euro pro Jahr und der zweite Sohn verdiene sogar über 150.000 Euro jährlich. Da die Tochter nur über ein sehr geringes Einkommen verfüge, blieb sie von der Leistungspflicht ausgeschlossen. Die Grundsicherungsleistungen kämen laut der Stadt nicht in Frage, da eines der Kinder Einkünfte von mehr als 100.000 Euro erziele und daher kein Anspruch auf Leistungen nach § 43 III 1 SGB XII bestehen würde.
Sind alle Kinder zur Zahlung verpflichtet?
Der Unterhaltsrückstand der Witwe wuchs zu ansehnlicher Höhe an. Sie verlangte daraufhin von ihrem ersten Sohn, diesen Betrag zu bezahlen. Außerdem sollte er für laufende Unterhaltsleistungen aufkommen, was von ihm jedoch abgelehnt wurde. Er sah nicht ein, Unterhalt an seine Mutter zu zahlen, nur weil ihr aufgrund des hohen Einkommens seines reicheren Bruders keine Grundsicherungsleistungen zustanden. Privilegiert wäre er dagegen als Einzelkind nach § 43 III 1,
2 SGB XII, denn dann würde seine Mutter Leistungen zur Grundsicherung erhalten und könnte keinen Elternunterhalt beanspruchen. In diesem Fall aber wird er für den Unterhalt herangezogen, obwohl eigentlich sein Bruder den besser gefüllten Geldbeutel hat. So landete der Streit am Ende vor
Gericht.
Geht Grundsicherung vor Elternunterhalt?
Wenn Eltern ihren Lebensbedarf nicht mehr eigenständig decken können, ist es in der Regel möglich, die Kinder gemäß § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Leistung von Elternunterhalt heranzuziehen. Dafür müssen die Eltern aber zunächst ihr eigenes Vermögen verwenden. Darüber hinaus ist auch erst einmal der Ehegatte eines Bedürftigen der vorrangige Unterhaltsschuldner (vgl. § 1608 I 1 BGB).
Der bedürftige Elternteil kann Grundsicherungsleistungen gemäß §§ 41 ff. SGB XII beanspruchen, muss dafür aber die Voraussetzungen erfüllen. Die nicht erhaltenen Leistungen werden sonst gegebenenfalls einem fiktiven Einkommen zugerechnet. Bekommt ein Elternteil nach § 43 III 1 SGB XII Leistungen für Grundsicherung, werden gegen die Kinder keine Unterhaltsansprüche wirksam, wenn deren Bruttoeinkünfte im Jahr 100.000 Euro nicht überschreiten. Nach § 43 III 2 SGB XII wird dieses im Übrigen vermutet. Das bedeutet, dass die Kinder privilegiert sind und die Eltern nicht unterstützen müssen. Geleistete Zahlungen dürfen vom Sozialhilfeträger später auch nicht zurückverlangt werden. Übersteigt der Lebensbedarf eines Elternteils jedoch den Grundsicherungsbedarf, welches bei Pflegebedürftigkeit meistens der Fall ist, werden die Kinder dennoch zum Unterhalt herangezogen.
Hat ein Elternteil Anspruch auf Grundsicherungsleistungen und übersteigt der Lebensbedarf den Grundsicherungsbedarf beispielsweise aufgrund von Pflegebedürftigkeit, ist das Kind verpflichtet Unterhalt zu zahlen. Der entsprechende Anspruch der Eltern geht dann je nach geleisteten Zahlungen auf den Träger der Sozialhilfe über (vgl. § 94 I 1 SGB XII).
Müssen wohlhabende Kinder zahlen?
Besteht beim Sozialhilfeträger der Verdacht, dass die Einkommensgrenze von einem Kind überschritten wird, darf er den Nachkommen auffordern, seine Einkommensverhältnisse offenzulegen. In diesem Fall kann Elternunterhalt verlangt werden. Die Höhe richtet sich nach den jeweiligen Einkünften und Vermögensverhältnissen des Sprösslings. Verweigert dieser die Unterhaltszahlung wird den Eltern zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt. Dafür kann der Nachkomme jedoch in Regress genommen werden und er muss den Unterhaltsrückstand erstatten. Bei mehreren Kindern gilt, dass sie nach § 1601 III 1 BGB jeweils einen beschränkten Haftungsanteil übernehmen, der sich nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen richtet. Die Haftung entfällt komplett bei der Leistungsfähigkeit eines Kindes.
Besteht Anspruch auf Elternunterhalt?
Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach der Witwe ein grundsätzliches Recht auf Elternunterhalt durch ihren Sohn zu. Begründet war dies durch die hohen Einkünfte von mehr als 150.000 Euro des zweiten Sohnes, wodurch die Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen der Mutter vollständig entfielen.
Reduzierte Ansprüche waren ebenfalls nicht möglich, auch wenn die Einkommen der Geschwister die Einkommensgrenze deutlich unterschritten und diese privilegierten. Diese Privilegierung kommt laut
§ 43 III 1 SGB XII nicht zum Tragen, wenn das Einkommen aller Kinder unterhalb der Einkommensgrenze liegen sollte.
Sohn muss sich nicht am Unterhalt für die Mutter beteiligen
In diesem Fall ging der Anspruch auf Unterhaltszahlungen der Mutter nicht auf den Sozialhilfeträger über, da es ihr nicht gestattet war, von dem schlechter verdienenden Sohn Unterhalt zu verlangen.
Es wurde eine unbillige Härte festgestellt. Das bedeutet, dass ein Kind, dass eigentlich privilegiert nach § 43 III 2 SGB XII ist, Elternunterhalt zu leisten hat, nur weil eins der Geschwister ein überdurchschnittlich hohes Einkommen hat und nur deshalb der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen wegfällt.
Der besser verdienende Sohn muss durch die Unterhaltsbefreiung seines Bruders keineswegs mehr Unterhalt zahlen. Hier gilt nach § 1606 III 1 BGB die anteilige Haftung je nach Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.
Fazit: Wird die Einkommensgrenze nach § 43 III SGB XII von einem Kind überschritten und werden daher Grundsicherungsleistungen für die Eltern abgelehnt, ist eine Unterhaltsverpflichtung eines anderen Kindes unzulässig.