Die Corona-Notbremse allein scheint derzeit im Vordergrund der öffentlichen Debatte über den Gesetzesentwurf des Bundes zu stehen. Doch ist sie nicht der alleinige Kern des Beschlusses. Die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes würde den Bund vor allem auch in Zukunft ermächtigen, bundeseinheitlich schärfere Maßnahmen zu verhängen. Ist das noch verfassungsgemäß?
Es scheint ein schieres Hin und Her zu sein, das die derzeit geltenden sowie die geplanten Corona-Maßnahmen ereilt. Durch die sogenannte Corona-Notbremse, die in einer Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes verankert werden soll, zielt der Bund auf einheitlichere Regelungen ab. Sie sollen im Sinne der Eindämmung der Pandemie länderübergreifend Gültigkeit besitzen.
Mittlerweile steht fest: Der Bundestag hat die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Doch zeichneten sich von Beginn an verschiedene Zweifel an den geplanten bundesweiten Regelungen ab, von denen noch nicht alle aus der Welt geschafft sind.
Bereits geklärt ist zunächst die Frage danach, ob Bürger gerichtlich weiterhin gegen die Corona-Maßnahmen vorgehen können: natürlich seien Klagen weiterhin möglich. Außerdem bestanden einige Zweifel bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Nach der lauten Kritik, zum Beispiel an der geplanten bundesweiten Ausgangssperre, wurde sie in ihrer Gültigkeit schließlich gelockert und soll nun nicht ab 21 Uhr, sondern erst ab 22 Uhr gelten.
Unklar bleibt aber das Ausmaß von Paragraf 28b Absatz 6 des geplanten Infektionsschutzgesetzes. Während sich die öffentliche Debatte zuletzt auf die Corona-Notbremse fokussierte, geht aus dieser Stelle eine weitere weitreichende Ermächtigungsgrundlage des Bundes hervor.
Denn im Sinne der Eindämmung der Pandemie soll der Bund laut dieser Änderung des IfSG „zusätzliche Gebote und Verbote“ erlassen können, für den Fall, dass die Sieben-Tage-Inzidenz einen Wert von 100 übersteigt. Voraussetzung wäre die Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats. Es ist der Bundesregierung also möglich, Bundesverordnungen zu erlassen. Für diese Verordnungen im Sinne des Infektionsschutzes waren zuvor die Länder individuell zuständig.
Es ist erwartbar, dass dadurch demnächst noch härtere Eingriffe in die Grundrechte kommen könnten als ohnehin schon derzeit gültig oder angekündigt. Womit müssen Bürger also rechnen?
Zunächst sei nicht unbedingt mit härteren Maßnahmen, als in der Notbremse angekündigt, zu rechnen, heißt es dazu von Stimmen der Koalitionsfraktionen. Vielmehr soll durch die Festlegung der Verordnungsermächtigung des Bundes für den Notfall vorgesorgt sein. Denn so kann der Bund härtere Eindämmungsmaßnahmen ergreifen, sollte sich das Infektionsgeschehen verschlimmern – ohne dass er dabei den Umweg über eine Ministerpräsidentenkonferenz gehen muss.
Denn festgelegt in der Neuerung des Infektionsschutzgesetzes ist, dass die Bundesregierung dazu ermächtigt ist, Schutzmaßnahmen durch Rechtsverordnungen umzusetzen, anstatt ein Gesetz zu beschließen, was deutlich länger dauern würde.
Bestehen bliebe trotz Verordnungsermächtigung des Bundes aber die Zustimmungspflicht des Bundestags und des Bundesrats, denen jeweils die letzte Entscheidung über weitergehende Maßnahmen zufällt.
Während bislang also allein die Länder Schutzmaßnahmen im Sinne des Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes, wie zum Beispiel Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen oder Betriebsschließungen, verordnen durften, kommt nun dem Bund dieses Recht zu. So soll eine Bundeseinheitlichkeit geschaffen werden.
Zwar bedeutet dies eine massive Änderung zur bisherigen Situation, verfassungsrechtlich stellen die geplanten Änderungen aber derzeit kein Problem dar.
Schwieriger könnte allerdings das juristische Vorgehen gegen mögliche Maßnahmen werden. Bisher führte der Weg über die jeweils zuständigen Verwaltungsgerichte der Länder. Einige Verwaltungsgerichte haben verschiedene Regelungen in der Vergangenheit dementsprechend bereits gekippt.
Sollten in Zukunft Bundesverordnungen kommen, kann hingegen nur vor dem Verwaltungsgericht Berlin dagegen vorgegangen werden.
So würden sich demnächst alle Klagen gegen bundesweite Corona-Maßnahmen vor dem Verwaltungsgericht Berlin abspielen. Fraglich ist, ob dort die entsprechende Infrastruktur oder die erforderlichen Kapazitäten vorhanden sind. Denn jede Einzelperson, die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen anzweifelt und überprüfen lassen möchte, müsste dies im Rahmen einer Feststellungsklage tun und dafür einen eigenen Antrag vor dem Verwaltungsgericht Berlin stellen. Je nachdem, wie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausfällt, wirkt diese sich aber nur auf die jeweils betroffene klagende Person aus.
Der juristische Weg vor Gericht wäre durch die bevorstehende Änderung des Infektionsschutzgesetzes also letztendlich für Einzelpersonen deutlich schwieriger.
Im Falle des Eintretens der neuen Verordnung würde es außerdem ausreichen, wenn Bundestag und Bundesrat mit einfacher Mehrheit zustimmen. Andererseits können sie ebenso mit einem einfachen Veto ablehnen.
Und es gibt einen weiteren Unterschied zwischen dem Beschluss von Gesetzen und dem Erlass von Verordnungen. Denn bei Gesetzen ist im Streitfall zwischen Bundesrat und Bundestag im Grundgesetz von einem Vermittlungsausschuss die Rede, der zu Rate gezogen werden kann. Bei einer Bundesverordnung kennt das Grundgesetz eine derartige Maßnahme nicht.
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