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Einer der größten Arbeitgeber in Deutschland sind die evangelische und die katholische Kirche. Dazu gehören natürlich auch die Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas. Die 1,5 Millionen Beschäftigten der Kirche unterliegen einem kirchlichen Sonderarbeitsrecht! Dieses wird von der Rechtsprechung grundsätzlich bestätigt und von den Parteien im Deutschen Bundestag mehrheitlich nicht verändert. Sind Sie bei einem kirchlichen Arbeitgeber tätig, so müssen Sie den hohen moralischen Anforderungen entsprechen. Wer zum Beispiel nach einer Scheidung neu heiratet oder offen homosexuell lebt, kann unter Umständen mit einer Kündigung rechnen. Inwiefern kirchliche Arbeitgeber besondere Rechte haben, erfahren Sie im Folgenden.
In kirchlichen Einrichtungen etwa der Caritas oder der Diakonie existiert das kirchliche Arbeitsrecht, welches sich in vieler Hinsicht vom staatlichen Arbeitsrecht unterscheidet. Diese Unterschiede begründen sich über die besonderen, in der Verfassung verankerten Rechte, die den Kirchen zustehen. So darf die Kirche ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten. Das dürfen auch andere anerkannte Religionsgemeinschaften wie etwa die jüdischen Kultusgemeinschaften.
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geht auf das Prinzip der Religionsfreiheit zurück (Artikel 4 des Grundgesetzes). Ebenso basiert dieses Recht auf Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem 1919 formulierten Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung. Diesen übernahm der Gesetzgeber 1949 in das Grundgesetz, und somit auch die Pflicht des Staates zur Neutralität! Der Staat darf sich also nicht in kirchliche Angelegenheiten einschalten. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Robert Hotstegs vom Deutschen Anwaltverein (DAV) erklärt: „Die Übernahme dieses Artikels zeigt, dass der Gesetzgeber den Kirchen auch in der Bundesrepublik die starke Position geben wollte, die sie in Deutschland traditionell hatten“.
Die Kirchen verfügen demnach über ein eigenes Kirchen- und Arbeitsrecht und über ein besonderes Dienst- und Disziplinarrecht. Zudem gibt es Kirchengerichte, deren Verfahren der Codex des kanonischen Rechts und anderer Kirchengesetze festlegt. Demnach werden die Verfahren noch vor staatlichen Gerichten von Mitarbeitern verhandelt, die im engeren kirchlichen Dienst tätig sind. „Geistliche etwa müssen zunächst die Instanzen der Kirchengerichtsbarkeit durchlaufen, bevor sie sich an ein staatliches Verwaltungsgericht wenden können“, so der Kirchenrechtsexperte Robert Hotstegs.
Ärzte, Erzieher oder Krankenschwestern, die kirchlich angestellt sind, dürfen sich bei arbeitsrechtlichem Streit direkt an staatliche Arbeitsgerichte wenden. Geistliche und andere Angestellte müssen im Gegensatz dazu den strengen moralischen Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber entsprechen. Ansprüche an die Loyalität der Angestellten sind vor allem dann sehr hoch, wenn sie sogenannte verkündungsnahe Tätigkeiten ausüben. In einer evangelischen Schule muss eine Reinigungskraft nicht unbedingt protestantischen Glaubens sein, eine Lehrerin jedoch schon.
Kirchen seien laut Hotstegs „Tendenzbetriebe“. „Sie verlangen, dass der Arbeitnehmer, der bei ihnen tätig ist, mit ihren religiösen Grundvorstellungen übereinstimmt.“ Selbstverständlich müssen sich die Kirchen auch an geltende Gesetze halten. Aber sie dürfen weitaus mehr als weltliche Arbeitgeber! Aus moralisch-sittlichen Gründen Angestellten zu kündigen, ist keine Seltenheit.
Aber das Privatleben ist doch nach staatlichem Arbeitsrecht kein Kündigungsgrund! Und verstößt eine Kündigung wegen der sexuellen Orientierung eines Menschen denn nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?
Kündigungen kirchlicher Arbeitgeber sind juristisch selten anfechtbar! Nach Paragraf 9 des AGG sei eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung zulässig. Außerdem bestätigen staatliche Gerichte das besondere Arbeitsrecht der Kirchen häufig.
Eine bei der Diakonie beschäftigte Erzieherin aus Nürnberg erhielt die Kündigung von ihrem Arbeitgeber, da sie privat Pornofilme dreht. Das Landesarbeitsgericht (LAG) München bestätigte die Kündigung, denn es sah im privaten Verhalten der Erzieherin eine „schwerwiegende sittliche Verfehlung“. Diese widerspreche den Wertvorstellungen der evangelischen Kirche und der Diakonie „im Rahmen ihrer Sozialethik“ (AZ: 6 Sa 944/14).
Ein katholisches Krankenhaus in Düsseldorf kündigte einem katholischen Chefarzt, weil er sich scheiden gelassen und erneut standesamtlich geheiratet hatte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied zugunsten des Arztes (Urteil vom 8.9.2011, AZ: 2 AZR 543/10), woraufhin die Klinik Verfassungsbeschwerde einlegte. Seit Jahren wird in Fällen gestritten, bei denen Sonderrechte kirchlicher Arbeitgeber und staatliches Arbeitsrecht kollidieren.
Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil am 22. Oktober 2014 auf (AZ: 2 BvR 661/12) und ernannte die Kündigung des Arztes für rechtens. Nun hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall beschäftigt. Dort urteilten die Richter, dass die Kündigung eine Diskriminierung aufgrund der Religion darstellen könne (AZ: C-68/17). Der Fall wurde auf das BAG zurückverwiesen.
Die Europäische Kommission hat in der Vergangenheit Deutschland mehrfach wegen der Sonderrechte kirchlicher Arbeitgeber kritisiert. Verändert hat das aber rechtlich wenig. Neben der Kommission kritisieren auch die Gewerkschaften hierzulande die Sonderrechte kirchlicher Arbeitgeber. Denn aufgrund der Sonderrechte dürfen Gewerkschaften in der Regel nicht in kirchlichen Betrieben tätig werden. Den Grund erläutert Rechtsanwalt Hotstegs: „Nach dem Kirchenverständnis kann es kein Gegeneinander geben, sondern nur ein Miteinander. Die Kirche sieht Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer sogenannten Dienstgemeinschaft.“
Deshalb vereinbaren kirchliche Arbeitgeber zum Beispiel keine Tarifverträge mit den Gewerkschaften, sondern nutzen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Diese legen innerkirchliche Gremien fest und erinnern an Tarifverträge der öffentlichen Arbeitgeber.
Zudem sind in kirchlichen Einrichtungen keine Betriebsräte tätig, sondern Mitarbeitervertretungen. Die Wahlen zu den Mitarbeitervertretungen ähneln Betriebsratswahlen, die Vertreter sind wie Betriebsräte vor Kündigungen geschützt.
Dass der Einfluss der Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen so gering ist, ändert sich langsam seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2012. Damals entschied das BAG, dass das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen nur gilt, wenn es keine Gewerkschaft gibt, die an den internen Verhandlungen um Löhne und Gehälter teilnimmt (AZ: 1 AZR 179/11).
Unabhängig davon beabsichtigen die Kirchen, ihr Arbeitsrecht zu reformieren. Bereits 2013 führte die Evangelische Kirche ein Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz (ARGG-EKD) ein und ermöglichte damit erstmals auch Gewerkschaften in der Kirche. Außerdem verkündete die Deutsche Bischofskonferenz im Mai 2015, dass die Gewerkschaften „in Zukunft am Zustandekommen kirchlicher Arbeitsvertragsbedingungen organisatorisch zu beteiligen sind“, wie es in einer Pressemeldung der Bischofskonferenz heißt.
Zudem soll die Wiederheirat eines Angestellten in katholischen Einrichtungen nur noch ausnahmsweise zur Kündigung führen können. Damit seien auch gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Lebenspartnerschaften eingeschlossen.
Stelle das Privatleben jedoch ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft dar und beeinträchtige dieses die Glaubwürdigkeit der Kirche, können eine erneute Ehe oder eine Lebenspartnerschaft zur Kündigung führen. Für Mitarbeiter im engeren kirchlichen Dienst sollen die strengen Loyalitätsanforderungen weiter bestehen.
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